Verrückte Idee wird zum Erfolg

J-rgen-Kissinger (1)Als einer der ersten Winzer in Rheinhessen setzte Jürgen Kissinger schon früh auf trockene Weißweine. Auch sein Sohn, der das Familienweingut einmal übernehmen soll, will eigene Wege gehen

Das Anbaugebiet Rheinhessen können auch viele Weintrinker geografisch nicht richtig verorten: „Die erste Frage, die mir Kunden stellen, ist meist: Wo liegt ihr Weingut eigentlich?“, erzählt Jürgen Kissinger. Zwischen Mainz und Worms am Rhein, genauer: im kleinen Örtchen Uelversheim führt der Winzer einen Familienbetrieb, den sein Urgroßvater einst gründete. Damals gehörten zum Betrieb noch Landwirtschaft, Viehzucht und Weinbau – ein klassischer Mischbetrieb. „Mein Vater hat dann das Vieh abgeschafft, ich die Landwirtschaft“, erzählt Kissinger.

13 Hektar Weinreben sind den Kissingers geblieben, bewirtschaftet werden die von der Familie selbst und Saisonkräften, die seit vielen Jahren bei der Lese helfen. Auch Jürgen Kissingers Sohn Moritz mischt mittlerweile im Keller mit, will sein Wissen aus dem Weinbaustudium in Geisenheim im elterlichen Betrieb einbringen. „Anfangs wollte er nichts mit Wein machen“, erzählt Vater Jürgen Kissinger, „aber jetzt kann er es kaum erwarten, seinen eigenen Stil hier einzubringen.“

Sein Vater unterstützt ihn dabei: „Er ist noch mutig, will richtig was ausprobieren – das kenne ich von mir selbst.“ Auch Jürgen Kissinger krempelte das elterliche Weingut um, setzte einen völlig neuen Stil durch. Mitte der 80er Jahre war es in Rheinhessen üblich die Weine mit Restsüße auszubauen. Er selbst ging damals einen ungewöhnlichen Weg und setzte konsequent auf trocken ausgebaute Weine. „Das haben viele für völlig verrückt gehalten: Ein trockener Wein, noch dazu aus dem unbekannten Rheinhessen – wer sollte den kaufen?“

Der Erfolg gab ihm recht: Bis heute setzt Kissinger konsequent auf trockene Weine – und auf Individualität. „Bei uns darf jeder Jahrgang anders schmecken, genau das macht ja den Wein aus“, sagt er. „Ich will Persönlichkeit in die Flasche bringen, keinen standardisierten Massenwein, der jedem schmeckt.“

Und sein Sohn Moritz? „Der hat noch ganz andere Ideen“, erzählt Kissinger und lacht. Das Vater-Sohn-Gespann arbeitet gut zusammen, sogar einen gemeinsamen Wein haben sie in Moritz Ausbildungszeit kreiert: „Duo“ hieß der, und so arbeiten die beiden derzeit auch noch: Im Team. Auch wenn es immer wieder Diskussionen gibt. „Ich glaube unsere Generation hat damals die Qualität im deutschen Weinbau durchgesetzt – die nächste muss nun stärker auf Profilsuche gehen“, sagt Kissinger.

Der Ausbau des Weins im Keller sei schon lange Moritz Steckenpferd, während Vater Jürgen sich stärker um den Weinberg und den Anbau kümmert. Der ist in Zukunft biozertifiziert: Schon seit über zwei Jahren verzichten die Kissingers auf Chemie im Weinberg oder Keller, der Jahrgang 2019 wird dann der erste offizielle Öko-Wein sein.

Für Jürgen Kissinger ein wichtiger Schritt, der auch seinen Alltag verändert hat: „Ich merke: Das macht auch mit einem selbst was“, erzählt Kissinger. „Es geht eben nicht mehr in erster Linie um Gewinnmaximierung, sondern darum, möglichst gut mit der Natur umzugehen und die Ressourcen schonend zu nutzen.“

Dass sein Sohn nach dem Studienabschluss im Weingut mehr und mehr das Ruder übernehmen möchte, freut den Winzer: „Ich war noch nie ein Mensch, der unbedingt in der ersten Reihe stehen möchte“, sagt Kissinger – lieber verbringt er dann noch mehr Zeit bei seinen Reben und in der Natur.

Erschienen am 04.05.2019 in der Neuen Westfälischen.

Portrait Kissinger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert